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14.02.2017 | Bundesverband ESUG und Sanierung (BV ESUG) | Mitteilung der Pressestelle
Sanierungserlass gekippt – irreparabler Schaden für Wirtschaftsstandort Deutschland

- Bundesfinanzhof: Steuerfreistellung von Sanierungsgewinnen auf Grundlage des Sanierungserlasses ist nicht zulässig

- Besteuerung von Sanierungsgewinnen führt zu Folgeinsolvenzen

Düsseldorf. 13. Februar 2017. Der Große Senat des Bundesfinanzhofs hat mit seinem Beschluss vom 28.11.2016 entschieden, dass mit dem Sanierungserlass des BMF vom 27. März 2003 gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoßen wird. Eine Steuerfreistellung von Sanierungsgewinnen auf Grundlage des Sanierungserlasses ist nicht zulässig, vielmehr bedarf es für eine solche Steuerbefreiung des Sanierungsgewinns einer gesetzlichen Regelung. Die in der Gesetzesbegründung angedeutete Korrektur der steuerlichen Folgen der Buchgewinnbesteuerung durch eine Stundung oder einen Erlass könne nicht durch eine allgemeingültige Verfügung gewährt werden, sondern nur aufgrund einer Billigkeitsregelung im Einzelfall, wenn die Besteuerung der Buchgewinne aus sachlichen oder persönlichen Gründen unbillig ist. Der Sanierungserlass, der Grundlage einer Vielzahl von Sanierungen insbesondere unter dem ESUG war, ist damit erst einmal gekippt. Wenn Gesetzgeber und Verwaltung nicht schnell Klarheit schaffen, kann dies unübersehbare Folgen für die Insolvenzkultur in Deutschland und den Wirtschaftsstandort Deutschland haben.

Der Beschluss des Großen Senats ist insoweit überraschend, da sowohl der vorlegende Senat des BFH als auch das BMF mit Zustimmung des überwiegenden Teils der Literatur den Sanierungserlass für zulässig gehalten haben. Der Gesetzgeber sollte jetzt schnell reagieren und eine gesetzliche Regelung zur steuerlichen Begünstigung von Sanierungsgewinnen schaffen, da ansonsten die Sanierung von Unternehmen in der Krise faktisch unmöglich wird. Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 07.12.2011 (ESUG – BGBL. I 2011, 2582) würde in vielen Fällen bedeutungslos, da eine Steuerlast, die durch die im Rahmen der Sanierung auszusprechenden Forderungsverzichte entsteht, regelmäßig nicht tragbar ist. Die Folgeinsolvenz aufgrund der Besteuerung des Sanierungsgewinns kann keine vom Gesetzgeber gewünschte Folge des ESUG sein. Die Umsetzung des Richtlinienvorschlags COM(2016)723 der EU-Kommission vom 22.11.2016 zur Einführung eines präventiven Restrukturierungsrahmens und zur Vereinheitlichung der Regelungen zur Entschuldung von Unternehmen in deutsches Recht wäre mit der Besteuerung von Sanierungsgewinnen von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Bis zum Handeln des Gesetzgebers ist die Verwaltung aufgerufen - unter Beachtung des Beschlusses des Großen Senats - Wege zu finden, um zumindest von einer Besteuerung von Sanierungsgewinnen bis zur Verabschiedung einer gesetzlichen Regelung abzusehen und in bereits eingeleiteten Fällen - unter Berücksichtigung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes - die verbindlichen Auskünfte wie bisher zu erteilen. Dies könnte u.a. durch eine extensive Auslegung der sachlichen und persönlichen Unbilligkeit von Maßnahmen der Besteuerung geschehen. Hierbei sind folgende Aspekte des Beschlusses besonders zu beachten:

Anwendungsbereich von Billigkeitsmaßnahmen im Einzelfall

Der Große Senat führt aus, dass eine sachliche Billigkeitsmaßnahme immer auf den Einzelfall abstellt und atypischen Ausnahmefällen vorbehalten ist. Auch hierbei muss die Erhebung oder Einziehung der Steuer gemäß § 163 Satz 1 und § 227 AO nach Lage des Einzelfalls aus steuerlichen Gründen unbillig sein. Ein Konflikt z.B. mit insolvenzrechtlichen Zielsetzungen ist hierfür zwar grundsätzlich nicht ausreichend, allerdings kann ein solcher atypischer Ausnahmefall auch in durch besondere Ausnahmevoraussetzungen gekennzeichneten Fallgruppen gewährt werden (Rn. 112 des Beschlusses). Hieraus ergibt sich, dass eine steuerlich begründete sachliche Unbilligkeit der Besteuerung von Sanierungsgewinnen für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen (z.B. insolventen Unternehmen) festgestellt werden kann, wenn die Voraussetzungen der sachlichen Unbilligkeit im jeweiligen Einzelfall vorliegen.

Sachliche Unbilligkeit

Zum Begriff der sachlichen Unbilligkeit hat sich der BFH sehr deutlich geäußert. Eine sachliche Unbilligkeit liegt demnach vor, wenn die steuerlichen Rechtsfolgen im Einzelfall das Ziel einer gesetzlichen Vorschrift verfehlen und deshalb ungerecht erscheinen. Gründe außerhalb des Steuerrechts, wie z.B. wirtschafts-, arbeits-, sozial- oder kulturpolitische Gründe, können einen Billigkeitsentscheid nicht rechtfertigen. Die Besteuerung des durch einen Forderungsverzicht entstehenden Gewinns ist nach den Ausführungen des Großen Senats unabhängig von einem Liquiditätszufluss die „notwendige Folge der gesetzlich vorgesehenen Gewinnermittlungsart“ des Betriebsvermögensvergleichs (§ 4 Abs. 1 EStG; vgl. Rn. 15 d. Beschlusses). Dem Grunde nach ist also auch ein Sanierungsgewinn aus einem in Sanierungsabsicht erklärten Forderungsverzicht der Besteuerung zu unterwerfen, ohne dass hierin eine ungewollte und „überschießende“ Folge einer typisierenden steuergesetzlichen Regelung zu sehen ist.

Aus dem Beschluss des Großen Senats geht nicht hervor, ob dies nur bei einem „normalen“ Forderungsverzicht gilt, also z.B. im Fall des Verzichts eines Gesellschafters oder eines einzelnen Gläubigers, oder auch dann, wenn durch den Verzicht der Gesamtheit der Gläubiger die gesamte Passivseite der Bilanz des Steuerpflichtigen strukturell neu geordnet wird. Der Umfang der hierbei entstehenden Buchgewinne übersteigt die im Rahmen der typisierenden Regelung des § 4 Abs. 1 EStG vorgesehene und gewollte Besteuerung des Vermögenszuwachses zwischen zwei Bilanzstichtagen. Die Verwaltung hat zu entscheiden, ob hierin eine Verfehlung des gesetzlichen Zwecks der Besteuerung von Buchgewinnen liegt. Hier könnte einer der Ansatzpunkte für eine vorübergehende Behandlung liegen.

Der Gesetzgeber hat diese Verfehlung des gesetzlichen Zwecks angedeutet, indem er eine Verwaltungsregelung im Fall der Sanierung angeschlagener Betriebe ausdrücklich für möglich hält (Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BT-Drucksache 16/4841, S. 35 „Die Sanierung angeschlagener Betriebe bleibt weiterhin möglich, diese Fälle werden im Verwaltungsweg geregelt.“). Noch weitergehend hat der Gesetzgeber ausdrücklich auf die – jetzt für unzulässig befundene – Verwaltungsregelung Bezug genommen und damit die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung verneint (Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BT-Drucksache 16/4841, S. 76: „Die Neuregelung enthält keine ausdrückliche Aussage mehr zu Unternehmenssanierungen. Sanierungsgewinne sind bereits nach geltender Rechtslage vorrangig mit vorhandenen Verlustvorträgen zu verrechnen. Von einer Besteuerung des überschießenden Betrags kann auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung im Billigkeitswege abgesehen werden (vgl. Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 27. März 2003; BStBl I S. 240).“.

Leistungsfähigkeit

Der Große Senat stellt weiterhin klar, dass gegen die Besteuerung von Sanierungsgewinnen nicht vorgebracht werden kann, der Vermögenszufluss führe nicht zu einem Zuwachs an Leistungsfähigkeit. Ein sanierungsbezogener Forderungsverzicht steigere die Leistungsfähigkeit zielgerichtet. Unbeantwortet in diesem Zusammenhang ist jedoch die Frage, ob die neu geschaffene Leistungsfähigkeit im Einzelfall ausreicht, um eine Steuerlast zu tragen. Dies hat die Verwaltung im Einzelfall zu prüfen und zu entscheiden. Dabei ist regelmäßig davon auszugehen, dass es nicht möglich sein wird, eine solche Steuerlast zu tragen.

Im Übrigen wird bei einer übertragenden Sanierung keine Steuer erhoben, weil der Erwerber ein neuer Rechtsträger ist und Auskehrungen auf bestehende Forderungen keiner Steuer unterfallen. Eine übertragende Sanierung heißt aber auch, dass der alte Rechtsträger untergeht und vor allem der Unternehmer sein Unternehmen verliert. Nach dem Grundgedanken des ESUG sollte er aber zu einer frühzeitigen Insolvenzantragstellung motiviert werden, was jedoch nur möglich ist, wenn er eine realistische Chance hat, sein Unternehmen auch zu erhalten.

Ein Widerruf des Sanierungserlasses seitens der Verwaltung ist derzeit nicht bekannt, er ist auch für die Verwaltung weiterhin bindend. Eine Vielzahl von Sanierungen, insbesondere solche unter Insolvenzschutz, sind aktuell im Vertrauen auf den Bestand des Sanierungserlasses eingeleitet worden, ohne dass schon eine verbindliche Auskunft vorliegt. Auch außerhalb einer möglichen Übergangsregelung, zu der der Gesetzgeber nunmehr bis zur Verabschiedung einer gesetzlichen Regelung aufgerufen ist, gilt der Grundsatz des Vertrauensschutzes. Insbesondere eine Besteuerung dieser Verfahren hätte katastrophale Folgen, denn der Geschäftsverkehr hat auf den dargestellten Erfolg der Sanierung unter Nichtbesteuerung des Sanierungsgewinns vertraut. Ein anderslautender Steuerbescheid - auch nur in einem einzigen Fall - würde lawinenartig zum unmittelbaren Kippen aller anderen Verfahren führen. Deshalb dürfen solche Bescheide nicht ergehen, wenn dem Wirtschaftsstandort Deutschland, der insbesondere durch das ESUG gestärkt werden sollte, nicht ein irreparabler Schaden zugefügt werden soll.

Jedenfalls ist schnelles Handeln vom Gesetzgeber, aber auch eine Klarstellung durch die Finanzverwaltung gefordert, denn die derzeit bestehende Unsicherheit ist bereits geeignet, dem Wirtschaftsstandort Deutschland erheblichen Schaden zuzufügen.

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