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28.03.2018 | Düsseldorfer Restrukturierungsforum | Mitteilung der Pressestelle
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing – Ethik in der Sanierung

Düsseldorf, 26. März 2018. Die Sanierungsbranche steckt mitten im Umbruch. Die rückläufigen Zahlen der Unternehmensinsolvenzen haben auch zu weitreichenden Veränderungen bei der im Vorfeld und zur Abwendung der Insolvenz tätigen Beraterschaft geführt. Mit dem von der EU initiierten präventiven Restrukturierungsrahmen und dessen Umsetzung in nationales Recht steht zukünftig ein rechtlicher Rahmen zur Verfügung, der die vorinsolvenzliche Sanierung im deutschen Rechtsraum verändern wird und daher die Beteiligten vor große Herausforderungen stellt. Vor diesem Hintergrund verfolgten rund 200 Gäste die wichtige Diskussion zum Thema „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing – Ethik in der Sanierung“.

Nach der Begrüßung der Panelisten und Moderatoren und den einleitenden Worten von Stephanie Paris (SK Dienstleistungs GmbH) zeigte Christopher Seagon (Partner, WELLENSIEK) in seinem Impulsvortrag aus seiner Sicht als Insolvenzverwalter und Treuhänder den Konflikt zwischen Ethik und Sanierung auf. Ethik sei nicht nur in der Sanierung, sondern auch in der aktuellen Wirtschaftspolitik von Bedeutung, wie sich u.a. in der Diskussion um „Ethik in der Führungsetage“ zeige. Für die Sanierung stelle sich die Frage, bis an welche Grenzen ein verantwortlich Handelnder gehen darf, um dem Unternehmen in der Krise die Rückkehr in die Gewinnzone zu ermöglichen. Dabei seien rechtliche Rahmenbedingungen als grundlegender Maßstab der Sanierung anzusehen, die Seagon aus den gesetzlichen Vorgaben zur Amtsführung der Richter, Rechtsanwälte und Insolvenzverwalter ableitete. Letztlich setze eine ethisch überzeugende Sanierung vier Eigenschaften voraus: Unabhängigkeit, Gleichbehandlungsorientierung, Stringenz und Transparenz. Diese vier grundlegenden Eigenschaften erläuterte Seagon im Anschluss. Die Unabhängigkeit beruhe im Wesentlichen auf der Höchstpersönlichkeit der Amtsausübung, der strikten Sachorientierung, der gesellschaftsrechtlichen Souveränität sowie der Selbstbestimmtheit des Handelns, wobei für letzteres die Eigenkapitalfinanzierung des Beraters ein wichtiges Momentum sei. Des Weiteren zeige sich die Unabhängigkeit in einer Konfliktbereitschaft auf der einen und in einer gewissen Konzilianz auf der anderen Seite. Die persönliche Bekanntschaft von Prozessbeteiligten stehe der Unabhängigkeit nicht entgegen, sondern könne für die Sanierung förderlich sein. Die Gleichbehandlungsorientierung sei geprägt durch den zwingenden Ausgleich der entwerteten Aktiva im Vergleich zu den wertmäßig höheren Passiva, letztlich also durch eine Verteilungsgerechtigkeit, wobei jedoch der Minderheitenschutz (insbesondere für Arbeitnehmer) nicht zu vernachlässigen sei. Stringenz müsse durch einen von Anfang an feststehenden „roten Faden“ für die Sanierung dokumentiert sein, der allen Beteiligten vermittelt und für diese nachvollziehbar sein müsse. In der Sanierung müsse konsequent gehandelt, Maßnahmen zügig umgesetzt und durch eine klare Exitstrategie abgeschlossen werden. Die Transparenz in einer Sanierung sei für gerichtliche Verfahren durch das sogenannte ESUG wesentlich verbessert worden und mittlerweile als Standard anzusehen. Transparenz zeige sich nach Auffassung von Seagon aber auch in einem transparenten Befund zur Existenzkrise, einer transparenten Kommunikation zu den jeweiligen Aufsichtsorganen (z.B. Insolvenzgericht, Gläubigerausschuss; außergerichtlich Aufsichtsrat, Beirat, Finanzierergremien) und der Öffentlichkeit. In diesen Ausprägungen stellen die vier Eigenschaften die Grundlage für einen ethischen Umgang mit allen Sanierungsbeteiligten dar.

In der anschließenden Podiumsdiskussion – geleitet von Ingo Gerdes (Taylor Wessing) und Burkhard Jung (hww hermann wienberg wilhelm) – diskutierten die Panelisten vertiefend über die ethischen Anforderungen, die an Sanierungsberater, insbesondere auch in Eigenverwaltungsverfahren, zu stellen sind. Frank Frind (Vorstand, Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte, BAKInsO e.V.) warf zunächst die These auf, dass die Ethik aus rein wirtschaftlicher Sicht eigentlich als Sanierungshindernis anzusehen sei, da sie Grenzen für rigide Sanierungsmaßnahmen setze, dennoch sei Ethik als Handlungsmaßstab wünschenswert. Er konnte aus seiner jahrelangen Erfahrung als Insolvenzrichter berichten und an aktueller Rechtsprechung und Literatur belegen, dass Schuldner bzw. ihre Berater gesetzliche Spielräume derzeit zu sehr zu ihren Gunsten nutzen, was sich u.a. in der Verweigerung der Wahl von gemeinsamen Vertretern bei Verfahren mit Anleihen und in teilweise sehr undurchsichtigen Insolvenzplanregelungen zeige. Er vertrat die Ansicht, dass sich die mit dem ESUG verbundenen Hoffnungen auf einen Interessenausgleich und eine Gleichbehandlung der Gläubiger untereinander in der Praxis bisher nicht ausreichend wahr geworden seien. Wünschenswert seien klarere gesetzliche Regelungen, die Richtern und allen Beteiligten einen praktikablen Rahmen vorgäben und Auslegungsfragen in der Sanierung überflüssig machten. Große Bedenken äußerte Frind gegenüber dem EU-Entwurf für ein präventives Restrukturierungsverfahren, das u.a. die Disziplinierungsfunktion des Insolvenzanfechtungsrechts durch Anfechtungsfreistellungen und die Gleichbehandlung durch Moratorien zugunsten der Schuldner aushebeln würde. Frank Günther (Managing Director, One Square) sah aufgrund seiner Erfahrung in Sanierungs- und Insolvenzverfahren, die er in verschiedenen Rollen, insbesondere als gemeinsamer Vertreter von Anleihegläubigern begleitet hat, die Interessenvertretung und den Verteilungskampf im Vordergrund. Dies sei aus sozialethischen Gesichtspunkten auch vertretbar; die Grenze des ethischen Handelns würde letztlich im Sinne des Dezisionismus jeder Beteiligter für sich selbst bestimmen und entsprechend handeln. In Sanierungs- und Insolvenzverfahren seien die Beteiligten auf Berater- bzw. Verwalterseite häufig dieselben, so dass das Geschehen vom „Do ut des-Prinzip“ geprägt sei und sich auch insoweit die Frage des ethisch vertretbaren Handelns stelle. Auf Seiten der Gerichte wünschte sich Günther eine Spezialisierung und Konzentration, damit sowohl Großverfahren als komplexe Rechtsfragen adäquat bearbeitet werden. Günther befürwortete den EU-Entwurf und wies auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands mit Blick auf das englische Scheme of Arrangement hin. Im Rahmen der weiteren Diskussion wurden Vergütungsfragen, Qualitätsstandards und Rankings für Insolvenzverwalter erörtert, wobei das Spektrum von einem „Pitch“ um die Bestellung bis hin zur beamtengleichen, erfolgsunabhängigen Entlohnung reichte. Seagon betonte die besondere Stellung des Insolvenzverwalters und verwies darauf, dass die gesetzlichen Regelungen sowie deren praktische Anwendung dem Grunde nach sehr gut funktionieren würden und Deutschland im internationalen Vergleich für sein Sanierungsregime von der Weltbank im jährlichen Doing Business Report wiederholt zu den weltweit besten Standorten zähle. Eine Qualitätskontrolle erfolge bei den Insolvenzgerichten durch die dortige Listung und durch die Gläubiger u.a. in kritischeren Ausschüssen. Frind forderte ein höheres Maß an Transparenz in der Sanierung sowohl für die Insolvenzgerichte als auch für die Gläubiger. So könnten z.B. die Veröffentlichung statistischer Werte über den Vergütungsanteil an der gesamten Insolvenzmasse oder der Vergütungsanträge selbst bei der Auswahl helfen; die derzeitigen Tools wie der von einigen Gerichten genutzte Fragebogen zur Unabhängigkeitsprüfung seien nicht ausreichend. Alle Beteiligten setzen auf die Evaluierung des ESUG und die daraus abgeleiteten gesetzlichen Neuregelungen.

Zusammenfassend waren alle Panelisten davon überzeugt, dass die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen in der überwiegenden Zahl der Fälle zu einer korrekten und damit auch ethisch vertretbaren Verfahrensführung ausreichen.

Die Veranstalter des Düsseldorfer Restrukturierungsforums sind Deloitte, hww hermann wienberg wilhelm, SK Dienstleistungs GmbH, Taylor Wessing und White & Case. Es bringt zwei Mal pro Jahr alle an der Sanierung eines Unternehmens Beteiligte zusammen. Hochrangige Gäste stellen aus verschiedenen Blickwinkeln ein aktuelles Thema vor und teilen ihr Expertenwissen mit den Gästen in der Diskussion. Weitere Informationen unter:

www.duesseldorfer-restrukturierungsforum.de. Die nächste Veranstaltung findet im Herbst 2018 statt.

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