Pressemitteilungen

08.01.2020 | Gravenbrucher Kreis | Mitteilung der Pressestelle
Gravenbrucher Thesen „ESUG 2.0 und präventiver Restrukturierungsrahmen – Ergänzung oder Gegensatz?“

Stand: 19. Dezember 2019

Auf Einladung des Gravenbrucher Kreises haben 18 Fachleute aus den Reihen

der Atradius Kreditversicherung Niederlassung der Atradius Crédito y Caución S.A. de Seguros y Reaseguros,
des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (in beobachtender Funktion),
der Daimler AG,
der Deutschen Bank AG,
des Deutschen Anwaltvereins e. V.,
der Euler Hermes Deutschland Niederlassung der Euler Hermes SA,
der Gesellschaft für Restrukturierung TMA Deutschland e. V.,
des Gravenbrucher Kreises,
der IG Metall,
der Landesbank Baden-Württemberg,
des Pensions-Sicherungs-Vereins aG,
der PricewaterhouseCoopers GmbH,
der UniCredit Bank AG,
des Verbands Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. sowie
der Wissenschaft

im Dezember 2019 in Berlin am Gravenbrucher Gespräch – einer Diskussionsrunde – zum Thema „ESUG 2.0 und präventiver Restrukturierungsrahmen – Ergänzung oder Gegensatz?“ teilgenommen. Im Rahmen dieser Diskussion, die an bereits im November 2015, Mai 2016 und Januar 2017 stattgefundene Gravenbrucher Gespräche zu diesem Themenkomplex anknüpfte, erörterten die Teilnehmer, wie der präventive Restrukturierungsrahmen gemäß den Vorgaben der EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz1 in deutsches Recht umgesetzt und wie das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – kurz: ESUG – vor dem Hintergrund der Implementierung des präventiven Restrukturierungsrahmens und der Ergebnisse der Evaluierung des ESUG nachjustiert werden kann. Der Gravenbrucher Kreis hat dazu seine Thesen vom 14. Januar 2017 aktualisiert, mit denen er sich in der aktuellen fachlichen Debatte positioniert:

Vorbemerkung

Das deutsche Restrukturierungs- und Insolvenzrecht befindet sich in Bewegung. Nach der Veröffentlichung der Ergebnisse der Evaluationsstudie zum ESUG ist nunmehr im Sommer 2019 die EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz in Kraft getreten, deren Vorgaben grundsätzlich bis zum 17. Juli 2021 in deutsches Recht umzusetzen sind.

Aufgrund der EU-Richtlinie verpflichtet der Europäische Gesetzgeber die einzelnen EU-Mitgliedstaaten und damit auch Deutschland, einen präventiven Restrukturierungsrahmen in ihr jeweiliges nationales Recht zu implementieren, der Schuldnern – in finanziellen Schwierigkeiten – bei einer wahrscheinlichen Insolvenz zur Verfügung steht, um eine Insolvenz abzuwenden und seine Bestandsfähigkeit sicherzustellen.

Demgegenüber besitzt Deutschland eines der besten Insolvenzrechte weltweit und steht nach der Studie der Weltbank „Doing Business“ im Bereich von Unternehmensinsolvenzen auf Platz 4 von 190 Staaten.5 Das nationale Insolvenzrecht enthält insbesondere gut funktionierende Regelungen und insgesamt einen guten Standard zur Restrukturierung von Unternehmen. Die deutschen Regelungen erlauben es bereits heute, Unternehmen in einem frühen Stadium effektiv und effizient zu sanieren. Nach geltendem nationalen Recht durchgeführte Sanierungsverfahren sind planbar und transparent; dabei anfallende Kosten sind kalkulierbar und rechtsmittelfähig.

Die nachfolgenden Thesen dienen dazu, dem deutschen Gesetzgeber Anregungen zur Umsetzung des vom Europäischen Gesetzgeber vorgegebenen präventiven Restrukturierungsrahmens und zur Einpassung der europäischen Vorgaben zum Rechtsrahmen in das bestehende System des deutschen Restrukturierungs- und Insolvenzrechts an die Hand zu geben, um den Sanierungsstandort Deutschland weiter zu stärken.

Angesichts der Einschätzung und Würdigung durch die Weltbank sowie der EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz ist allenfalls eine sich einpassende Ergänzung des Werkzeugkastens des deutschen Restrukturierungsrechts und kein totaler Paradigmenwechsel – weg von einer Gläubigerbefriedigung, hin zu einer Entschuldung – erforderlich: ein neues Tool, das passgenau außergerichtliche Sanierungsbemühungen dann unterstützt, wenn diese an einzelnen Akkordstörern zu scheitern drohen. Dann sollte die Restrukturierung nicht auf Instrumente des ausländischen Rechts zurückgreifen müssen, um zu gelingen.

Im Rahmen der Implementierung des präventiven Restrukturierungsrahmens in deutsches Recht sind auch die Ergebnisse der Evaluation des ESUG zu berücksichtigen, um eine Nachjustierung des deutschen Restrukturierungs- und Insolvenzrechts tragfähig auszugestalten und das funktionierende deutsche Sanierungsrecht zu erhalten.

Thesen:

I. Zum präventiven Restrukturierungsrahmen

1. Abstandsgebot zum Insolvenzverfahren

Es muss eine deutliche Abgrenzung des präventiven Restrukturierungsrahmens zum Insolvenzverfahren geben. Ein Schuldner, der bereits insolvent ist, kann den präventiven Restrukturierungsrahmen nicht nutzen (Abstandsgebot). Der präventive Restrukturierungsrahmen soll nur für solche Schuldner anwendbar sein, die es auch verdienen. Nur ein Schuldner, der noch ausreichend weit von der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO entfernt ist, soll den präventiven Restrukturierungsrahmen nutzen können. Sofern die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gemäß § 17 InsO unmittelbar bevor steht, darf ihm der neu zu schaffende Rechtsrahmen nicht zur Verfügung stehen.

2. Ausschluss aus dem Anwendungsbereich auf Gläubigerseite

Arbeitnehmer und Gläubiger mit Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung des Schuldners sind vom präventiven Restrukturierungsrahmen nicht betroffen, d.h. weder von einem im präventiven Restrukturierungsrahmen gewährten Moratorium noch vom Restrukturierungsplan, der im Rahmen des präventiven Restrukturierungsrahmens aufgestellt wird. Hingegen sollen Gläubiger mit Forderungen gegen den Schuldner aus Produkthaftungsfällen vom präventiven Restrukturierungsrahmen betroffen werden können.

3. Leichter Einstieg, leichte Folgen – kein „Insolvenzverfahren light“

Da der Schuldner nach den Vorgaben der EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz den präventiven Restrukturierungsrechtsrahmen leicht, d.h. ohne echte Eintrittsbarriere, anstreben können soll (Einstiegsfreundlichkeit), muss der Rahmen zugleich einen eingriffsarmen Charakter aufweisen. Vor diesem Hintergrund dürfen in dem präventiven Restrukturierungs-rahmen keine insolvenzspezifischen Sonderrechte – wie Sonderkündigungs- und Vertragsablehnungsrechte, Insolvenz-anfechtung, Insolvenzgeld sowie Vorrechte – möglich sein („leichter Einstieg, leichte Folgen“). In diesem Punkt muss sich der Restrukturierungsrahmen, der nach der EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz im Vorfeld der Insolvenz wirken soll, klar von Verfahren unterscheiden, die für insolvente Schuldner gedacht sind, die dieser Werkzeuge bedürfen. Der präventive Restrukturierungsrahmen darf daher kein „Insolvenzverfahren light“ darstellen, in dem ein allgemeines Moratorium zulasten aller Gläubiger möglich wäre und alle Gläubiger in den Restrukturierungsplan einbezogen wären (Kein Gesamtverfahren mit kollektiven Wirkungen).

4. Anforderung an die Summenmehrheit

Es ist eine tatsächliche Zustimmung von 75 % der Summen der betroffenen Forderungen in jeder Klasse bei der Planannahme erforderlich, da die tatsächliche Unterstützung der im Plan vorgesehenen Maßnahmen durch die überwiegende Mehrheit der Betroffenen tragender Legitimationsgrund des Restrukturierungsplans ist (Instrument für Missbrauchsschutz).

5. Keine vollständige Suspendierung von Anfechtungsrechten

Anfechtungsrechte sollten nicht vollständig suspendiert, sondern maximal in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren eigenschränkt sein. Eine effektive Vorsatzanfechtung aufgrund vorsätzlichen gläubigerschädigenden Verhaltens muss gewährleistet sein. Zwischenfinanzierungen und neue Finanzierungen sind indes zu privilegieren. Die Gedanken der Sanierungsrechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind unter Berücksichtigung des Umstandes, dass im Rahmen des präventiven Restrukturierungsrahmens nicht zwingend ein Sanierungsgutachten vorliegen wird, zu übertragen. Sofern einem Kreditinstitut Sicherheiten am Umlaufvermögen zustehen und es Verfügungen über die Erlöse zulassen muss sowie gleichzeitig neue Sicherheiten revolvierend begründet, müssen die neuen Sicherheiten anfechtungssicher sein („Unechter Massekredit im Restrukturierungsrahmen“).

6. Beteiligung eines Restrukturierungsbeauftragten

Bei Eingriffen in Gläubigerrechte, die eine besondere Intensität aufweisen, sollte ein Restrukturierungsbeauftragter zur Wahrung der Interessen der Parteien bestellt werden. Für andere Fälle soll ein solcher Restrukturierungsbeauftragter lediglich optional im Einzelfall auf Wunsch der Beteiligten im Rahmen des präventiven Restrukturierungsrahmens bestellt werden können. Die Beteiligung eines objektiven unabhängigen Dritten als natürliche Person in der Person des Restrukturierungsbeauftragten kann für einen gerechten Ausgleich der Interessen und für Vertrauen sorgen sowie Transparenz und Struktur in den Verhandlungen schaffen.

Die Auswahl eines Restrukturierungsbeauftragten darf nicht allein dem Gericht obliegen, sondern sie muss von den Gläubigern und dem Schuldner (analog dem ESUG) mitgestaltet werden können. Je insolvenznaher der präventive Restrukturierungsrahmen ausgestaltet wird, desto mehr wird ein Restrukturierungsbeauftragter für erforderlich erachtet.

7. Verortung und Anerkennung

Der präventive Restrukturierungsrahmen ist in einem neuen Gesetz zu normieren, das den Titel „Restrukturierungsordnung“ (RO) trägt. Die Anerkennung sämtlicher Verfahren in dem Restrukturierungsrahmen muss in der Europäischen Union gewährleistet sein.

8. Zuständige Gerichte

Ausschließlich zuständig für Verfahren in einem so definierten Restrukturierungsrahmen sollten konzentrierte und spezialisierte Gerichte als Restrukturierungsgerichte sein. Sollte die Zuständigkeit bei den Amtsgerichten liegen, sollten Restrukturierungsverfahren in einer eigenständigen Abteilung innerhalb des Gerichts bearbeitet werden (Trennung zum Insolvenzgericht).

II. Zum Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG)

1. Keine Abschaffung der Instrumente des ESUG Die Instrumente des ESUG dürfen nicht im Zuge der Implementierung des präventiven Restrukturierungsrahmens abgeschafft, sondern müssen beibehalten werden.

2. Verschmelzung von § 270a und § 270b InsO zu einem einheitlichen Eigenverwaltungsverfahren unter Verwendung der Begrifflichkeit „Schutzschirmverfahren“

Mit Blick auf die Ergebnisse der Evaluation des ESUG kann sich ein modifiziertes Schutzschirmverfahren, das mit dem Eigenverwaltungsverfahren zusammenläuft, vorgestellt werden (Verschmelzung von § 270a und § 270b InsO). Für ein verschmolzenes Verfahren in Eigenverwaltung sollte die Begrifflichkeit „Schutzschirmverfahren“ (weiter) verwendet werden. Diese Begrifflichkeit hat sich national sowie international durchgesetzt und stärkt damit den Sanierungsstandort Deutschland. Ein schlagkräftiges Schutzschirmverfahren stellt auch zukünftig ein veritables Sanierungsinstrument und neben dem präventiven Restrukturierungsrahmen eine weitere Sanierungsoption für den Schuldner dar (Wettbewerbsgedanke). Es bietet dem Schuldner Sanierungseffekte (wie Insolvenzgeld, Vertragsablehnungsrechte, Möglichkeit zur Restrukturierung der Passivseite) und Planbarkeit. Gleichzeitig bedarf es jedoch der Erhöhung der Zugangshürden für das modifizierte Schutzschirmverfahren. Das „Mitbringen“ eines (vorläufigen) Sachwalters unter Beteiligung der Gläubiger (verbindlicher Vorschlag) muss möglich sein.

3. Beendigung der Eigenverwaltung durch Beschluss des Gläubigerausschusses Der Gläubigerausschuss muss durch einstimmigen Beschluss ein Eigenverwaltungsverfahren mit Blick darauf, dass er sich für ein Regelinsolvenzverfahren ausspricht, beenden können.

4. Schärfung der Zugangsvoraussetzungen zur Eigenverwaltung Die Anforderungen an den eigenverwaltenden Schuldner bzw. der Zugang zur Eigenverwaltung sind zu schärfen, um das Schutzschirmverfahren und generell die Eigenverwaltung nicht zu entwerten.

5. Anforderungen an den eigenverwaltenden Schuldner Um Zugang zum Instrumentarium der Eigenverwaltung zu bekommen, muss das vorinsolvenzliche Verhalten des Schuldners bestimmte objektiv belegbare, enumerative Mindestvoraussetzungen im Hinblick auf dessen bisherige Zuverlässigkeit und Mitwirkungsbereitschaft erfüllen. Schuldner, die in der Vergangenheit grob gegen wesentliche öffentlich-rechtliche Pflichten verstoßen, sich damit als unzuverlässig erwiesen haben und die dem Gericht damit zugleich keine hinreichende Entscheidungsgrundlage hinsichtlich der Tauglichkeit des Eigenverwaltungsverfahrens im konkreten Fall liefern, sollten keinen Zugang zum Instrumentarium der Eigenverwaltung erlangen. Auch Schuldner, die die Besonderheiten der Eigenverwaltung zu verfahrensfremden Zwecken ausnutzen wollen, sollten keinen Zugang zu dieser Verfahrensart bekommen.

Objektiv belegbare, leicht prüfbare und damit für Gerichte handhabbare Kriterien im Sinne von Ausschlusskriterien, die gegen eine Eigenverwaltung sprechen, könnten sein:

a) fortlaufende und nachhaltige Verletzung der Buchführungs- und Bilanzierungspflichten,

b) fortlaufende und nachhaltige Verletzung der Steuererklärungspflichten,

c) Lohn- und Gehaltsrückstände bei mehr als einem Monat (inklusive rückständiger Sozialversicherungsbeiträge),

d) mangelnde Erfahrung des Schuldners bzw. seiner organschaftlichen Vertreter mit dem Instrument der Eigenverwaltung (Stichwort: Chief Restructuring Officer),

e) Verletzung von Insolvenzantragspflichten nach Maßgabe von § 15a InsO.

6. Präzisierung der Aufhebungsgründe der Eigenverwaltung Die Gründe zur Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung müssen gesetzlich weiter präzisiert werden, da de lege lata die Aufhebungsgründe für Verfahren, die funktionell identisch sind, divers geregelt sind.

7. Anforderungen an den Sachwalter

a) Flexibilisierung des Sachwalters

In Abstimmung mit den Gläubigern, d.h. mit dem Gläubigerausschuss, soll die Rolle des Sachwalters flexibel an die konkreten Bedürfnisse der Eigenverwaltung angepasst werden können (Flexibilisierung des Sachwalters). In Fällen einer gut vorbereiteten Eigenverwaltung mit ausreichender insolvenzrechtlicher Expertise beim Schuldner kann er sich auf die bisherigen gesetzlichen Aufgaben beschränken. Hingegen muss der Sachwalter sich in den übrigen Fällen der klassischen Tätigkeit des Verwalters annähern können. Dabei muss jedoch gewährleistet werden, dass der Sachwalter und der eigenverwaltende Schuldner nicht in Konflikt hinsichtlich ihrer Kompetenzen geraten. Je mehr Aufgaben dem Sachwalter zukommen, desto weniger Aufgaben dürfen dem eigenverwaltenden Schuldner zukommen.

b) Anordnung von Zustimmungsvorbehalten

Es wird angeregt, die Anordnung von Zustimmungsvorbehalten jedenfalls dann in das Ermessen des Insolvenzgerichts zu stellen, wenn dem ein entsprechender Beschluss des (vorläufigen) Gläubigerausschusses vorausgegangen ist.

Begleitet werden sollte eine entsprechende gesetzliche Regelung schließlich durch ein hiermit korrespondierendes Initiativrecht des (vorläufigen) Sachwalters, da er als Vertreter der Interessen der Gläubigergesamtheit bei Wahrnehmung seiner Kontroll- und Überwachungsaufgaben einschätzen kann, ob verfügungsbeschränkende Maßnahmen angemessen und erforderlich sind. Dieses Initiativrecht auch des vorläufigen Sachwalters soll über eine echte Verweisungskette klargestellt werden. Die Verweisung des § 270a Abs. 1 S. 2 InsO, dass für den vorläufigen Sachwalter §§ 274, 275 InsO entsprechend gelten, sollte daher auch um § 277 Abs. 1 InsO ergänzt werden.

c) Kassenführungsrecht des Sachwalters

Gemäß § 275 Abs. 2 InsO kann der Sachwalter vom Schuldner verlangen, dass alle eingehenden Gelder nur vom Sachwalter entgegengenommen und Zahlungen nur vom Sachwalter geleistet werden. Dies schafft oft das für die erfolgreiche Durchführung des Eigenverwaltungsverfahrens zwingend erforderliche Vertrauen bei den beteiligten Lieferanten, Kunden und Kreditinstituten. Vor diesem Hintergrund ist es aber naheliegend, den Gläubigern selbst auch ein direktes Mitspracherecht bei der Frage, wer die Kassenführungsbefugnis innehat, einzuräumen. Insoweit sollte das Kassenführungsrecht in Ergänzung der aktuellen Gesetzeslage auch und insbesondere dann dem Sachwalter übertragen werden können, wenn der (vorläufige) Gläubigerausschuss dies verlangt.

d) Aufhebung der Eigenverwaltung

§ 272 Abs. 1 InsO sollte dahingehend ergänzt werden, dass die Anordnung der Eigenverwaltung aufgehoben wird, wenn dies vom Sachwalter beantragt wird und der Gläubigerausschuss diesem Antrag zugestimmt hat. § 272 Abs. 2 InsO gilt trotzdem. Der Sachwalter muss bei einem entsprechenden Antrag glaubhaft machen, dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Anordnung vorliegen. Das dürfte in aller Regel dann anzunehmen sein, wenn der (vorläufige) Gläubigerausschuss die Eigenverwaltung ablehnt. Dem Schuldner ist rechtliches Gehör zu gewähren.

e) Insolvenzplan

Gemäß § 284 InsO ist ein Auftrag der Gläubigerversammlung zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans an den Sachwalter oder an den Schuldner zu richten. In der Regel besteht bei der Planerstellung eine Eilbedürftigkeit, so dass der Auftrag der Gläubigerversammlung an den Sachwalter zur Planerstellung zu spät sein könnte. Es muss deshalb auch dem Gläubigerausschuss möglich sein, einen Auftrag zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans an den Sachwalter oder an den Schuldner zu richten. § 284 InsO ist insoweit zu ergänzen. Darüber hinaus soll auch dem Sachwalter selbst ein Planinitiativrecht im Eigenverwaltungsverfahren zustehen können.

8. Vergütung der Mitglieder des (vorläufigen) Gläubigerausschusses Die Vergütung der Mitglieder des (vorläufigen) Gläubigerausschusses muss angehoben und vor diesem Hintergrund neu geregelt werden, damit sich professionelle Gläubigervertreter im (vorläufigen) Gläubigerausschuss engagieren. Die derzeitig geregelten Vergütungssätze entsprechen nicht (mehr) dem Aufwand und der Verantwortung, die einem Mitglied des (vorläufigen) Gläubigerausschusses obliegen.

9. Anwendbarkeit des § 276a InsO im Eröffnungsverfahren Die Regelung des § 276a InsO soll auch im Eröffnungsverfahren anwendbar sein, um Unsicherheiten im vorläufigen Verfahren zu beseitigen.

10

Schlussbemerkung

Die vorgenannten Thesen spiegeln den Stand des beim Gravenbrucher Gespräch geführten Gedankenaustausches vom Dezember 2019 wider und werden im Laufe der weiterzuführenden Diskussion fortentwickelt.

Über den Gravenbrucher Kreis

Im Gravenbrucher Kreis sind seit 1986 Vertreter führender Insolvenzkanzleien Deutschlands zusammengeschlossen, die sich durch umfassende Erfahrung und Kompetenz im Bereich überregionaler Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren auszeichnen. Die Mitglieder verpflichten sich zur Einhaltung höchster Qualitäts- und Leistungsstandards, die sie durch das exklusive, von unabhängigen Auditoren geprüfte Zertifikat InsO Excellence nachweisen. Der Kreis hat aktuell 30 Mitglieder (davon 22 aktive und acht passive). Sprecher des Gravenbrucher Kreises ist seit März 2015 Prof. Dr. Lucas F. Flöther.

Seit seiner Gründung sieht sich der Gravenbrucher Kreis gefordert, das Restrukturierungs- und Insolvenzrecht sowie angrenzende Rechtsgebiete aus Sicht der Praxis fortzuentwickeln. Darüber hinaus bringt der Gravenbrucher Kreis seine Erfahrung in grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen ein und beteiligt sich an der Fortentwicklung internationaler Standards und Regeln im Bereich der Restrukturierung.

Der interdisziplinäre Erfahrungsaustausch und die gemeinsamen Diskussionen innerhalb des Gravenbrucher Kreises führen zu profunden Einschätzungen und fachkundigen Stellungnahmen. Diese genießen in der nationalen und internationalen Fachwelt des Restrukturierungs- und Insolvenzrechts hohe Anerkennung und finden in Gesetzgebungsverfahren Gehör.

www.gravenbrucher-kreis.de

Frankfurt am Main, den 19. Dezember 2019

Der WBDat.-E-Mail-Newsletter zum Insolvenzgeschehen:
Unser kostenloser Service für Sie. Täglich auf dem neuesten Stand.

abonnieren