Pressemitteilungen

15.01.2021 | | Mitteilung der Pressestelle
Boom bei Großinsolvenzen in 2020

§ Erste Welle schon vorbei – Insolvenzen auf hohem Niveau weiter erwartet

§ Einzelhandel, Mode und Automotive waren besonders betroffen

Düsseldorf/Frankfurt. 14. Januar 2021. Die Zahl der Großinsolvenzen hat im Coronajahr deutlich zugenommen. Bei Firmen mit einem Umsatz von mehr als zehn Millionen Euro stiegen sie auf einen Rekordwert von 271 Insolvenzen. Ein Plus von 47,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr, in dem lediglich 184 Unternehmen in die Pleite rutschten. „Die erste Insolvenzwelle hatten wir eigentlich schon im ersten Halbjahr. Allerdings traf es viele Unternehmen, die bereits vor Corona mit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten“, erklärt Falkensteg-Partner Tillmann Peeters. Zwischen März und Juni mussten nicht nur die meisten (119), sondern auch die umsatzgrößten Unternehmen den Gang zum Insolvenzgericht antreten, dazu zählten Galeria Karstadt Kaufhof (GKK), der Zahlungsdienstleister Wirecard, der Modehändler Esprit, der Automobilzulieferer Veritas AG, der Auto-Dienstleister Arwe und die Restaurantkette Vapiano.

Die Existenznöte sind in den einzelnen Branchen durchaus unterschiedlich. Gegenüber dem Vorjahr stiegen die Antragszahlen teilweise um das drei- bzw. vierfache. Einen rapiden Anstieg verzeichnete die Insolvenzstatistik von Falkensteg im Einzelhandel von neun auf 35 und bei Modeunternehmen von zwölf auf 36. Im automobilnahen Bereich verdoppelten sich die Antragszahlen auf 54. Dagegen trotzte der klassische Maschinenbau den coronabedingten Folgen, hier fielen die Antragszahlen von 29 auf 24 Insolvenzen.

Während Kleinfirmen die Gesamtzahlen dominieren, sind die großen Unternehmen entscheidend bei den Arbeitsplätzen und Forderungsausfällen. Von den rund 330.000 Beschäftigten, die von der Insolvenz ihrer Firma in 2020 betroffen waren, arbeitete rund ein Drittel (119.000) in einem Großunternehmen. Im Vorjahr waren in den insolventen Großunternehmen lediglich 72.600 Mitarbeiter tätig.

Kurzarbeitergeld und staatliche Hilfskredite halten Unternehmen am Leben

Bund und Länder haben laut Bundesfinanzministerium rund 1,3 Billionen Euro für die Hilfsmaßnahmen gegen die Coronafolgen in 2020 ausgegeben. „Bei den größeren Unternehmen hat das Kurzarbeitergeld sehr geholfen und eine massive Entlassungswelle verhindert. Weil es sehr schnell und effizient ausgezahlt wurde, war das die pragmatischste Wirtschaftshilfe“, so der Sanierungsexperte Peeters. Um die Folgen der Pandemie weiter abzumildern, startete die Bundesregierung ein enormes finanzielles Hilfspaket. Die KfW-Kredite führten zwar zu einer weiteren Entlastung, jedoch türmten dadurch die meisten Unternehmen einen weiteren Schuldenberg auf. Insbesondere in Branchen, die nur wenig Marge erzielen, könnte die Tilgung der Kredite ab Ende des Jahres zur wirtschaftlichen Schieflage führen. „Will man diese Unternehmen, die ein gesundes Geschäftsmodell haben, nicht in die Insolvenz schicken, bedarf es eines neuen Sanierungsverfahrens. Das wurde mit dem Starug nun geschaffen“, weiß Peeters.

Neues Sanierungsverfahren

Mit dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz – kurz Starug – können Unternehmen Sanierungsmaßnahmen angehen, wenn sie die Mehrheit der Gläubiger hinter sich versammeln. Bisher konnte schon ein einzelner opponierender Gläubiger, ein sog. Akkordstörer, eine Sanierung blockieren. Die weiteren Möglichkeiten wie die Verwertungs- und Vollzugssperre geben den Unternehmen zudem ausreichend Zeit und Ruhe, um einen Restrukturierungsplan zu entwickeln und mit den Gläubigern abzustimmen.

Der Schwerpunkt des Starug liegt im Bereich der Sanierung der Passivseite, also der Finanzverbindlichkeiten, wie Bankkredite, Mezzanine-Finanzierungen oder Schuldverschreibungen. „Der neue Sanierungsrahmen ermöglicht, dass die Hilfskredite auch ohne Insolvenz in Teilen nicht zurückgezahlt werden müssen. Es wird demnach Unternehmen zugutekommen, die coronabedingt in Schieflage geraten sind", sagt Peeters. Das Starug steht jenen Unternehmen offen, die nur drohend zahlungsunfähig, aber noch für mindestens zwölf Monate durchfinanziert sind – Unternehmen also, die aktuell noch rechtzeitig bezahlen.

Schutzschirmverfahren wieder auf dem Vormarsch

Die Großunternehmen haben sehr gut gelernt, mit der Pandemie umzugehen. Viele nutzten die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, um andere Maßnahmen in Gang zu setzen. Ein Nachholeffekt ist kaum zu erwarten. Schon deshalb dürften sich die Insolvenzen in diesem Jahr auf Vorjahresniveau entwickeln, schätzt Sanierungsberater Tillmann Peeters. Letztendlich hinge das „aber massiv davon ab, wie lange der zweite Lockdown noch anhält, wie sich bestimmte Konsumbereiche entwickeln werden und wann der Impfstoff flächendeckend zur Verfügung steht.“ Auch wegen der kommenden Bundes- und Landtagswahlen werde die Politik weiter staatliche Unterstützung für die Unternehmen anbieten, sollten die Insolvenzzahlen nach oben klettern.

Die Coronakrise hat aber auch zu einem Umdenken in der Sanierungskultur geführt. Galt die Insolvenz als eigenes Versagen und war damit strikt zu vermeiden, setzten sich die Unternehmer vermehrt mit den Sanierungsverfahren in der Insolvenz auseinander. Die Pandemie verhalf somit dem bereits totgesagten Schutzschirmverfahren zu einer Renaissance. Gleich 35 Unternehmen nutzten das Sanierungsinstrument, bei welchem die Firmenleitung weiter das Heft des Handelns in der Hand behält. In den Jahren zuvor suchten gerade einmal fünf Unternehmen Zuflucht unter dem Rettungsschirm. „Wir erleben, dass dieses Sanierungsverfahren eine hohe Berechtigung hat und ein wichtiges Tool im Sanierungsbaukasten ist. Bisher gab es einfach nicht die richtigen Anwendungsfälle. Aber professionell beratene Unternehmen passen sich derzeit mit dem Schutzschirm an die Zeit nach der Pandemie und den sich ändernden Marktgegebenheiten an“, weiß Tillmann Peeters.

Unter den Schutzschirm dürfen normalerweise nur Unternehmen, die drohend zahlungsunfähig sind. Bis Ende des Jahres steht das Sanierungsinstrument aber auch zahlungsunfähigen Unternehmen offen. Bei den Top-15-Verfahren gingen gleich sechs Unternehmen unter Rettungsschirm, darunter Galeria Karstadt Kaufhof, Esprit, KSM Castings Group und Dralon.

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