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30.11.2017 | Hamburger Restrukturierungsforum | Mitteilung der Pressestelle
Kein Land in Sicht

Hamburg, 29. November 2017. Die Schifffahrtskrise jährt sich 2018 zum zehnten Mal und beschäftigt bis heute die Hamburger Restrukturierungsszene. Was lag da näher, als sich im Rahmen des zweiten Hamburger Restrukturierungsforums mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Das hochkarätige Panel – besetzt mit Ralf Jung, Ken Kinscher, Ralf Schmitz und Dr. Sven-Holger Undritz – diskutierte am 14. November 2017 intensiv über „Land in Sicht? Lehren aus der Schifffahrtskrise für andere Krisenbranchen“.

Nach den Begrüßungsworten durch Riaz K. Janjuah (White & Case) legte Bernd Richter (Partner bei der Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft) mit seinem Impulsreferat die Grundlage für die nachfolgende Diskussion. Er zeigte zunächst die reine zahlenbasierte Entwicklung der Schifffahrtkrise anhand des Frachtindexes von 2007 bis 2017. Daraufhin stellte Richter fünf Thesen zur Schifffahrtskrise und deren Übertragbarkeit auf andere Branchen vor. Die erste These lautete beispielsweise: „Die Schifffahrtskrise ist eine Strukturkrise, die insbesondere durch eine ineffiziente Kapitallokation ausgelöst worden ist“. Eine weitere These beschäftigte sich mit den Marktteilnehmern, die, so Richter, überwiegend in Summe fortgesetzt irrational handeln würden. Als klares Alleinstellungsmerkmal stellte Richter in einer These das fehlende nachhaltige öffentliche Interesse im Vergleich zu anderen Strukturkrisen und den fehlenden strukturellen Lösungsansatz heraus. Last but not least sagte er der Schifffahrtsbranche eine weitere Verschärfung der Krise voraus, da die Branche überwiegend noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen sei und weder über Zeit noch Kapital verfügen würde, um in Innovationen zu investieren. Das Fazit von Richter: „Die Schifffahrtskrise eignet sich aufgrund ihrer spezifischen Ausprägungen nur sehr eingeschränkt als Musterfall für die zu erwartenden Strukturkrisen in anderen Branchen“.

Im Anschluss an das Impulsreferat waren die Teilnehmer der Podiumsdiskussion, die von Dr. Thorsten Bieg (GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB) moderiert wurde, am Zuge. Ralf Jung (Chief Financial Officer bei der OFFEN GROUP) machte gleich zu Beginn klar, dass die Schifffahrt an einer strukturellen Krise und nicht an einer konjunkturellen leide. Die Nachfrageseite sei dabei nicht das Problem, da diese über die Jahre stabil geblieben sei, sondern der enorme Angebotsüberhang. Die weltweite Werftkapazität habe sich verfünffacht und stünde damit in keinem Verhältnis zur gleichgebliebenen Nachfrage, so Jung. Das sei seit Krisenausbruch auch nicht in Griff bekommen worden. Gleichzeitig sei die Finanzierung sehr schwierig: „Extrem volatile Assets wurden mit einer Struktur finanziert, die sonst niemand in einer anderen Branche so wählen würde“, konstatierte Jung.

Ralf Schmitz (Interimsmanager/CRO, Schmitz & Partner Unternehmensberatung) zeigte sich überzeugt davon, dass die Branche überfordert gewesen sei und nicht einschätzen konnte, was auf sie zukommen würde. „Die Reedereien wurden überrascht und waren nicht darauf vorbereitet. Zum Teil agierten einige auch vollkommen irrational. Sobald man vermeintlich Licht am Horizont sah, wurden neue Schiffe in Auftrag gegeben“, so der erfahrene Berater. Eine Entscheidung, die vor dem Hintergrund des enormen Überangebotes, vollkommen irrational gewesen sei. Und sogar bis heute sei dieses Verhalten zu beobachten.

Ken Kinscher (Direktor, M.M.Warburg & CO) hinterfragte ebenso wie seine Mitdiskutanten kritisch die Banken, die teilweise ihr Kreditportfolio zu einseitig ausgerichtet hatten, ohne die damit verbundenen Risiken zu berücksichtigen. Sowohl Kinscher als auch die anderen Diskutanten zeigten sich zudem skeptisch, was das weit verbreitete Geschäftsmodell des Asset Managements in der Schifffahrtsbranche betrifft. Dieses Geschäftsmodell sei aber nur bedingt zukunftsfähig. Auf der anderen Seite gäbe es aber durchaus Geschäftsmodelle von Reedereien, die für Investoren – allen voran ausländische Interessenten oder Private Equity-Häuser – interessant seien.

Dr. Sven-Holger Undritz (Rechtsanwalt und Partner, White & Case) wies darauf hin, dass die Branche eine enorme Rauschphase durchlebt hätte mit dem anschließenden extremen Einbruch. „Viele Beteiligte vergessen dabei jedoch, dass der Markt davor jahrelang stabil gewesen war, aber eben auf viel niedrigerem Niveau“, so der Hamburger Insolvenzverwalter. Wenig hilfreich seien, seiner Erfahrung nach, die diversen Insolvenzfälle von vor allem Gesellschaften mit nur einem Schiff. „Diese Schiffe verschwinden nicht vom Markt, sondern finden vor allem internationale Käufer. Damit wird aber nicht das strukturelle Problem der Krise, die Überkapazität, gelöst“, erläutert Dr. Undritz. Diese wichtige Erkenntnis teilten auch die anderen drei Diskutanten.

Aus Sicht der vier Diskutanten gab es einige Lessons Learned für andere Branchen: „Bereits in der Frühphase muss unterschieden werden, was ist zyklisch und was geht nie wieder weg. Daraus ergeben sich dann die notwendigen Handlungsoptionen“, so Jung. Dies jedoch sei bei der Schifffahrtskrise unterlassen worden. Kinscher betonte noch einmal, dass die Betrachtung des Geschäftsmodells sowie dessen Zukunftsfähigkeit elementar sei. Und dies sei in der Schifffahrtskrise nicht geschehen.

Mit seiner zweiten Veranstaltung hat das Hamburger Restrukturierungsforum die bereits in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, München und Stuttgart erfolgreiche Diskussionsreihe zu Themen um Sanierung, Restrukturierung und Insolvenz fortgesetzt. Kenner der Materie stellen aus verschiedenen Blickwinkeln ein aktuelles Thema vor und teilen ihr Expertenwissen in der Diskussion mit den Gästen. Zugleich geben die Veranstaltungen ausreichend Raum, um eigene Projekte zu erörtern. Die Veranstalter des Hamburger Restrukturierungsforums sind: Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, hww hermann wienberg wilhelm und White & Case. Im Herbst 2018 findet die nächste Ausgabe des Hamburger Restrukturierungsforums statt. Weitere Informationen unter www.hamburger-restrukturierungsforum.de

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