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29. August 2024. Die Zahl der Großinsolvenzen in Deutschland verharrt weiterhin auf einem besorgniserregend hohen Stand. Im zweiten Quartal 2024 meldeten 43 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 20 Millionen Euro Insolvenz an, wie aus dem Insolvenzreport der Unternehmensberatung Falkensteg hervorgeht. Dies entspricht zwar einem minimalen Rückgang um einen Fall gegenüber dem Vorquartal, liegt aber deutlich über dem Fünfjahresdurchschnitt von 35 Insolvenzen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stiegen die Antragszahlen um zehn Prozent.
"Wir erleben gerade eine kurze Verschnaufpause, aber die Gesamtlage deutet auf einen weiteren Anstieg der Zahlen hin", warnt Jonas Eckhardt, Studienautor und Partner bei Falkensteg. Als Haupttreiber nennt er die anhaltende Konjunkturschwäche, hohe Zinsen bei Firmenkrediten und zunehmende Zahlungsprobleme von Kunden. Betroffen im zweiten Quartal waren primär die Automobilzulieferer mit sechs Anträgen, gefolgt vom Einzelhandel, Modeunternehmen und der Gebäudebranche mit jeweils fünf Verfahren.
Das zweite Halbjahr verspricht einen Sturm von Firmenpleiten
Die Halbjahreszahlen zeichnen ein noch düstereres Bild: Mit insgesamt 87 Großinsolvenzen in den ersten sechs Monaten 2024 wurde der Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre um 32 Prozent übertroffen. Nur im ersten Corona-Jahr 2020 gab es mit 110 Anträgen mehr Insolvenzen pro Halbjahr. „Das zweite Halbjahr verspricht einen Sturm von Firmenpleiten. Zumal die zweite Jahreshälfte immer deutlicher höhere Fallzahlen aufweist“, prognostiziert Restrukturierungsexperte Jonas Eckhardt.
Die wirtschaftliche Flaute schlägt sich mittlerweile auch auf den Arbeitsmarkt nieder. Die Arbeitslosenzahlen stiegen im Sommer ungewöhnlich stark an, während die gemeldeten Stellen rückläufig sind. Allein durch die Insolvenzen der 87 Unternehmen im ersten Halbjahr sind über 64.100 Arbeitsplätze bedroht.
Lichtblick bei den Verfahrensausgängen
Ein kleiner Lichtblick zeigt sich bei den erfolgreichen Verfahrensausgängen. Mit 19 Lösungen wurden zwei Unternehmen mehr als im Vorquartal gerettet. Besonders die Asset Deals trugen zu dieser Entwicklung bei – ihre Zahl stieg im zweiten Quartal um 45 Prozent. Die Insolvenzplanlösungen halbierten sich dagegen von sechs auf drei. Die Zahl der Unternehmen mit geringen Überlebenschancen näherte sich mit zehn Fällen wieder dem Fünfjahresdurchschnitt von neun negativen Lösungen an. Sieben Unternehmen mussten ihren Geschäftsbetrieb vorzeitig einstellen, zwei weniger als im Vorquartal.
„Die Rettung von Unternehmen aus der Insolvenz gestaltet sich zunehmend komplexer. Hohe Zinsen machen den Erwerb insolventer Firmen teurer oder unattraktiv. Ferner schrecken unsichere Umsätze aufgrund der allgemeinen Wirtschaftslage potenzielle Investoren ab“, erklärt M&A-Experte Jonas Eckhardt.
Jürgen Matthes (IW Köln): Die Stimmung ist so schlecht wie lange nicht mehr
„Die Stimmung bei den Unternehmern ist so schlecht wie lange nicht mehr“, erklärt Jürgen Matthes, Leiter internationale Wirtschaftspolitik am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln im Gespräch mit dem Insolvenzreport. Er sieht einen toxischen Mix aus höheren Energie- und Verbraucherpreisen, einem weltweiten Nachfrageeinbruch und nationalen Problemen wie hohen Arbeitskosten sowie enormen Bürokratie- und auch Steuerlasten. Und dann seien da noch die internationalen Risikofaktoren: „unzuverlässige Lieferketten aus autokratischen Staaten, ein möglicher Taiwan-Konflikt und eine Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus könnten die Exporteure erheblich treffen“, ergänzt Matthes.
Trotz der angespannten Lage zögern viele Unternehmen beim Abbau von Risiken. Eine IW-Umfrage zeigt, dass zahlreiche Firmen keine Pläne haben, etwa ihre China-Abhängigkeit zu reduzieren. Hier sieht Matthes Handlungsbedarf: „Der Staat müsse dort eingreifen, wo der Markt versagt oder die Anreize falsch gesetzt sind, damit Unternehmen neue Handelswege gehen können."
So könnten Freihandelsabkommen mit Ländern wie Indien oder Indonesien bei der Verlagerung aus China helfen. Denkbar wären auch Handelsbarrieren für chinesische Produkte oder die Förderung einer strategischen Bevorratung. Gleichzeitig warnt er vor überzogenem Protektionismus: "Es ist wichtig, nicht in den Reflex zu verfallen, alles selbst machen zu wollen und dabei hohe Subventionen zu verschwenden."
Über den Insolvenzreport „5 nach 12“
Die Restrukturierungsberatung Falkensteg recherchiert für den Insolvenzreport alle drei Monate das Insolvenzgeschehen. Dazu werden Informationen des Insolvenz-Portals, der Creditreform, des Statistischen Bundesamtes sowie von Insolvenzverwaltern ausgewertet und mit eigenen Analysen ergänzt. Während andere Statistiken die eröffneten Insolvenzverfahren auswerten, konzentriert sich der Insolvenzreport auf den früheren Zeitpunkt der Insolvenzanmeldung. Durchschnittlich liegt zwischen der Anmeldung und der Eröffnung ein Zeitraum von zwei bis drei Monaten. Damit dient der Insolvenzreport als Frühindikator bei den Großinsolvenzen.