Pressemitteilungen
VID-Vorsitzender Niering: Gefahr von Staatsinsolvenzen besteht trotz Euro-Rettungslösung weiter/ Ausblick: erneuter Anstieg der Unternehmensinsolvenzen zu befürchten / Auftakt-PK zum 6. Deut-schen Insolvenzverwalterkongress in Berlin
Berlin, 27. Oktober 2011. Trotz der in dieser Nacht erzielten Einigung zur Euro-Rettung besteht nach Einschätzung der deutschen Insolvenzverwalter weiterhin die Gefahr von Staatsinsolvenzen. So habe gestern erst der künftige EZB-Präsident Draghi die Lage in seinem Heimatland Italien als dramatisch bezeichnet. „Eine für alle Gläubiger gleichermaßen geltende und zwingende Insolvenzordnung für Staaten ist der einzige Weg für eine geordnete Staatsinsolvenz“, erklärte Christoph Niering, Vorsitzender des Insolvenzverwalterverbandes VID, heute in Berlin zum Auftakt des diesjährigen Deutschen Insolvenzverwalterkongresses (27.-29.10.2011).
Zwar könne man die Insolvenz eines Staates nicht mit der Insolvenz von Unternehmen oder Privatpersonen vergleichen. „Nehmen wir das Beispiel Griechenland“, so Niering. „Schon jetzt droht das Land innerlich zu zerbrechen. Stellen Sie sich nun vor, ein ‚staatsfremder Verwalter’ würde eingesetzt und – vergleichbar einer Unternehmensinsolvenz – mit weit reichenden Vollmachten ausgestattet. Es gäbe kein Halten mehr.“
Dennoch lohne ein Blick in den Werkzeugkasten des deutschen Unternehmensinsolvenzverwalters, wenn man nach Lösungen für die Insolvenz von Staaten suche. Vorbild könne das Instrument des „Insolvenzplans in Eigenverwaltung“ sein, mit dem sich insolvente Unternehmen in Eigenregie sanieren können und lediglich durch einen „Sachwalter“ überwacht werden. Voraussetzung dafür sei, so Niering, „dass der insolvente Staat auch alle nötigen Schritte zur Konsolidierung seiner Staatsfinanzen ergreift.“ Dabei dürfe zumindest eine teilweise Verwertung des Staatsvermögens kein grundsätzliches Tabu sein.
Auf der anderen Seite müsse es möglich sein, die Gläubiger notfalls zum Forderungsverzicht zu zwingen, wenn die Mehrheit dem Verzicht zustimme. Die Minderheit müsse dann „das in der Abstimmung gefundene Ergebnis zwangsweise mittragen“, betonte Niering. „Sonst wird es nicht funktionieren.“ Niering forderte zudem, Insolvenzverfahren von Staaten einem internationalen Insolvenzgericht zu unterstellen.
Der VID-Vorsitzende ging anschließend auf die zu erwartende Entwicklung bei den Unternehmensinsolvenzen ein. „Wenn sich die Finanzmärkte nicht schnell wieder beruhigen und die Auslandsnachfrage weiter sinkt, ist ein erneuter Anstieg der Unternehmensinsolvenzen zu befürchten“, sagte Niering. Diese Gefahr werde dadurch verstärkt, dass viele Unternehmen die letzte Krise nicht für eine umfassende Restrukturierung genutzt hätten: „Gerade solche Unternehmen, die aufgrund der überraschend schnellen Erholung der Auslandsnachfrage ihren damaligen Sanierungsprozess nicht abgeschlossen haben, könnten – wenn neue Kredite ausbleiben oder Kreditlinien gekündigt werden – sehr schnell in Schieflage geraten.“
Abschließend äußerte sich Niering zur anstehenden Reform des Insolvenzrechts („ESUG“), die in diesen Tagen vom Bundestag beschlossen werden soll. Der VID begrüße mit Nachdruck die Bemühungen des Gesetzgebers, die Sanierung insolventer Unternehmen zu erleichtern. „Es wird sich erst in Zukunft zeigen, ob der so gefundene Kompromiss und die dort vorgesehenen Instrumentarien in der Praxis erfolgreich zur Anwendung kommen.“ Dies gelte vor allem für das geplante Schutzschirmverfahren.
Niering kritisierte dabei in scharfer Form, dass das ESUG durch die sanierungsfeindliche Entwicklung im Steuerrecht konterkariert würde. Durch die Etablierung eines „Fiskusprivilegs“ würde der Staat in Insolvenzverfahren gegenüber anderen Gläubigern bevorzugt. „Schon jetzt sind die ersten gescheiterten Sanierungsfälle zu beklagen, bei denen bereits ausgearbeitete Insolvenzpläne aufgrund eines Steuerprivilegs gescheitert sind“, stellte der VID-Vorsitzende fest. Hier sei der Gesetzgeber gefordert, Insolvenzrecht und Steuerrecht miteinander in Einklang zu bringen. Niering: „Dies gilt vor allem jetzt, wo möglicherweise eine neue Krise bevorsteht und die deutschen Insolvenzverwalter um jeden Arbeitsplatz kämpfen.“
Über den VID
Der „Verband lnsolvenzverwalter Deutschlands e.V.“ ist der Bundesverband der in Deutschland tätigen Unternehmensinsolvenz-verwalter. Die Mitglieder des VID haben sich über ihre Satzung auf strenge „Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung“ und zur Zertifizierung nach ISO:9001 verpflichtet. Der Verband hat damit Maßstäbe für eine unabhängige, transparente und qualitativ anspruchsvolle Insolvenzverwaltung gesetzt. Voraussetzung für die VID-Mitgliedschaft ist zudem eine mindestens fünf Jahre dauernde Tätigkeit als Unternehmensinsolvenzverwalter. Der Verband hat zurzeit rund 450 Mitglieder und vertritt damit die überwiegende Mehrheit dieser Berufsgruppe.
www.vid.de