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03.12.2014 | Schultze & Braun | Mitteilung der Pressestelle
EuGH schützt Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse insolventer Unternehmen im IFG-Verfahren

Luxemburg/Achern. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass eine nationale Aufsichtsbehörde im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) das Berufsgeheimnis wahren muss, wenn eine Person Informationen nach diesem Gesetz anfordert. Das Einsichtsbegehren nach dem IFG falle weder unter das Strafrecht, noch betreffe es ein zivil- oder handelsrechtliches Verfahren, so dass die gesetzlichen Ausnahmen von dem Schutz des Berufsgeheimnisses nach Art. 54 I und II der RL 2004/39 über Märkte für Finanzinstrumente nicht vorlägen, so der EuGH.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hatte sich im Februar 2013 mit einem entsprechenden Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gewandt. Im Kern ging es um die Frage, ob das Berufsgeheimnis einer Aufsichtsbehörde sich auch auf die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einer Wertpapierfirma erstreckt, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Ja, sagt dazu die Zweite Kammer des EuGH. Dies gelte sogar für den Fall, dass das Geschäftsmodell der Wertpapierfirma auf strafbaren Handlungen oder anderen schwerwiegenden Rechtsverletzungen basierte und sie deshalb zwangsabgewickelt wird.

Mehrere Anleger der Phoenix Kapitaldienst GmbH, deren Insolvenz im Jahr 2005 eines der größten Anlagebetrugssysteme in Deutschland offenbarte und knapp 31 000 Anleger schädigte, hatten im Mai 2012 von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Einsicht in Unterlagen über Phoenix verlangt. Im Juli 2012 kam die BaFin dem Auskunftsersuchen weitgehend nach, verweigerte den Klägern jedoch Einsicht in den Sonderprüfungsbericht von Ernst & Young vom 31. März 2002, die Berichte der Wirtschaftsprüfer von Phoenix, die internen Stellungnahmen, Berichte, Korrespondenz, Unterlagen, Absprachen, Verträge, Aktennotizen und Schreiben, die Phoenix betrafen, sowie sämtliche interne Stellungnahmen und geführte Korrespondenz, die nach Bekanntgabe des genannten Prüfungsberichts erstellt wurde. Die BaFin begründete ihre Weigerung damit, dass das Gewähren dieser Informationen ihre Kontroll- und Aufsichtsaufgaben beeinträchtige und verwies zudem auf ihre Verschwiegenheitspflichten nach dem Kreditwesen- und dem Wertpapierhandelsgesetz.

Dagegen erhoben die Anleger Klage vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt, das am 11. Dezember 2012 die BaFin zunächst verpflichtete, Zugang zu einem Teil der begehrten Informationen zu gewähren. Das Gericht ging davon aus, dass die Interessen von Phoenix nicht schutzbedürftig seien, so dass die BaFin Ausnahmen von ihrer Verschwiegenheitspflicht machen könne, wandte sich aber mit dem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. Die Luxemburger Richter folgten der Argumentation des Gerichtes nicht.

„Dieses Urteil hat enorme Bedeutung für Insolvenzverwalter in Deutschland“, ordnet Rechtsanwalt Andreas J. Baumert von Schultze & Braun das Ergebnis ein. Baumert war als Prozessvertreter von Phoenix-Insolvenzverwalter Frank Schmitt an der Verhandlung vor der Zweiten Kammer des EuGH beteiligt. „Die Entscheidung schützt die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse insolventer Unternehmen gegenüber Auskunftsersuchen nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind damit auch in der Insolvenz in einem IFG-Verfahren geschützt. Das ist entscheidend, weil sie für Unternehmen und Insolvenzverwalter einen Wert darstellen, der unter Umständen durch Verkauf realisiert werden kann. Das IFG-Verfahren ist nach dieser Klarstellung des EuGH ungeeignet, die BaFin über das insolvente Unternehmen auszuforschen, soweit deren Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse betroffen sind. Es wird daher an Reiz für Anlegerschutzanwälte in Insolvenzverfahren verlieren.“

Nur in einem konkreten zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren kann nach dem EuGH ein Betriebs-oder Geschäftsgeheimnis einer Schuldnerin durch die Pflicht zur Vorlage von vertraulichen Informationen beeinträchtigt werden. Zudem geht das nur dann, wenn das für die Prozessführung „erforderlich“ im Sinne der Ausnahmevorschrift des § 54 II der Richtlinie 2004/39 ist, also das Begehren nicht unter Verstoß gegen das Prozessrecht auf Ausforschung gerichtet ist.

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